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Ein beinahe familiäres Verhältnis - Johanna Schneider und der Weg zur Berufsmusikerin

Man liest immer wieder, dass Musik schon sehr früh ein Steckenpferd von dir war. Gab es für dichSchlüsselerlebnisse, die prägend waren für deine Entwicklung?

Meine Mutter nahm mich ab und zu mit zu Live-Konzerten, bei Straßenfesten, aber auch in den Live-Pub – das war die Vorversion des Live-Clubs – und oft in den Jazzkeller, meinem Ersatzwohnzimmer. Als Alleinerziehende hatte sie nicht so viel Geld für einen Babysitter. Und ich war sehr froh, wenn ich mitdurfte. Ich wollte stets so nah wie möglich an die Bühne ran, um zu tanzen oder auf die Bühne raufzugehen, schon als 3-jährige. Mit 4 Jahren habe ich dann mit Jazzdance in der „Tanzwerkstatt“ angefangen, mit 6 mit Ballett, mit 7 Geige und später dann noch ein bisschen Klavier und Gitarre. So gab es erste Auftritte. Außerdem hat Musik in der Familieimmer eine große Rolle gespielt. Meine Mutter und ich hatten für alle Lebensmomente ein Lied, ob für Haare waschen oder Radfahren. Musik war einfach ein Teil des Lebens.

Die Offenheit ändert sich, wenn Kinder in die Pubertät kommen. Außerdem ist Jazz für Jugendliche meist uncool. War das bei dir auch so?

Nein, eigentlich nie. Ich bin nicht so mit Trends gegangen. Zwar habe ich auch mal Hip-Hop gehört, Reggae und Pop, aber immer sehr viel Soul – vor allem Whitney Houston, Aretha Franklin, Stevie Wonder, als Kind aber auch Neue Deutsche Welle, Songwriter, Beatles, Klassik und eben Jazz. 

Wie kamst du von den klassischen Instrumenten, Geige und Klavier, zum Gesang?

Ich habe immer viel gesungen, zum Beispiel zu Liedern, die in meinen Lieblingsfilmen liefen.Zu Hause sah ich nur die wöchentliche  Sendung mit der Maus, aber bei Freundendurften wir zu besonderen Anlässen Videos anschauen: „Pippi Langstrumpf“, „Mary Poppins“, „Das Dschungelbuch“, „König der Löwen“. Ich konnte bald alle Songs auswendig.Was ich an Musikbüchern aus der Schule oder der Bücherei kriegen konnte, habe ich mitgenommen und von vorne bis hinten durchgesungen. Auch in der Schule habe ich oft vor mich hingesummt. Meine Klassenkameraden waren deswegen schon so genervt, dasseine Zeitlang niemand mehr neben mir sitzen wollte und sich alle beschwerten: „Die Johanna singt immer!“.

Und irgendwann ist das Nach-Singen ins Stückeschreiben übergegangen.

Am Anfang habe ich abwechselnd Lieder am Klavier und an der Gitarre geschrieben, ganz ohne Konzept, obwohl ich die komplette Musiklehre drauf hatte, auch aufgrund der musischen Ausbildung in der Musikmodellklasse bei Horst Lohse an der Rupprechtschule und später am E.T.A.-Hoffmann-Gymnasium. Aber im kreativen Prozess spielen festgelegte Noten und Akkorde zunächst keine Rolle. Ich singe erst die Melodie ein und schreibe den Text. Dann drücke ich dazu am Klavier irgendwelche Töne und komme so zur Base-Line. Diese notiere ich in Notenbuchstaben über dem Text. Erst am Ende schreibe ich Melodie, Rhythmik und Akkorde auf Notenpapier auf. Es gibt viele Musiker, die mit Akkorden und ausgefeilten Schemata anfangen. Ich gehe eher emotional vor und analysiere das Ergebnis im Nachhinein.

Dein Beruf lebt sehr stark aber auch von persönlichen Beziehungen zu anderen Künstlern. Welche Begegnungen im Jazzclub haben bei dir tiefe Eindrücke hinterlassen?

Oh, einige. Eine der ersten, an die ich mich erinnere, war mit Klaus Kreuzeder. Ich habe mich nicht oft mit ihm unterhalten, aber was er gemacht hat, fand ich toll. Nils Wogram habe ich dort kennengelernt, genauso wie auch den Schlagzeuger meines Quartetts - Bastian Jütte. Torsten Goods kam, bevor er nach Berlin zog, auch ab und zu zur Session vorbei. Wir sind heute noch befreundet. Mit der Jazzsängerin Cécile Verny habe ich viele Gespräche geführt, vor allem über lebenspraktische Tipps, die sie mir als Jugendliche geben konnte. Wie lebt eine Jazzmusikerin? Lässt sich der Beruf mit Familie vereinbaren? Bis zu der Frage, wie sie ihre Haare stylt. Und bevor ich vergangenen Winter meinen ersten Plattendeal unterschrieb, habe ich mich auch mit ihr und ihrem Mann, dem Bassisten Bernd Heitzler ausgetauscht.

Wie wichtig war die lokale Jazzszene für deine Berufswahl?

Es war schon ein Vorteil in einer Stadt zu leben, wo Konzerte mit Jazzgrößen stattfinden. Die Jazzclub-Session am ersten Mittwoch jeden Monat war auch ganz wichtig. Wo sollte man sich sonst ausprobieren? Schade war nur, dass in Bambergniemand explizit Jazzgesang gelehrt hat. Zum Glück hat mich Harald Hauck, der am E.T.A. lehrt, während der Abizeit noch ein bisschen in Jazzpiano unterrichtet; denn ich musste bei der Aufnahmeprüfung ja vorspielen.Beim Gitarristen Norbert Schramm habe ich das Know-how für die Gehörbildungs- und die Jazzharmonielehreprüfung gelernt. Auch Uwe Gaasch und Ruppert Aumüller, der mein Nachbar war, haben mich unter ihre Fittiche genommen. Den ersten Auftritt im Jazzclub hatte ich mit der von Ruppert geleiteten Musikschulcombo „Good Mood“, und er war es auch, der mich später für die „Bamberg Allstars“ vorschlug.

Warum kamst du ausgerechnet zum Jazz?

Ich hatte wiegesagt schon als Kind ein Faible für den Jazz und wir waren immer Mitglied im Jazzclub gewesen. Als ich auf einer Geburtstagsfeier mitbekam, dass ein Studienfreund meiner Mutter in seiner Freizeit eine Combo hatte, überredete ich ihn, die Instrumentalband um eine Sängerin, also mich, zu erweitern. Das kostete mich einige Überzeugungskunst, aber schon nach der ersten Probe war klar, dass ich bleiben dürfte. Man spielte mir damals alle Themen auf der Querflöte und dem Saxophon vor und ich sang einfach mit und hatte so, sehr bald das komplette Band-Repertoire drauf. Songs wie „Mercy Mercy Mercy“, „Moonglow“, „Undecided“, „Satin Doll“, „Green Dolphin Street“. Norbert Schramm wiederum ermutigte mich dann bei der Jazzclub-Session, die Songs auch mit fremden Musikern auszuprobieren.

Die endgültige Entscheidung, das Studienfach Jazz zu ergreifen,ergab sich aus einer Begegnung mit dem Drummer Dirik Schilgen im Jazzclub, als ich gerade 18 war.Er empfahl mir, einen Workshop in Freinsheim bei Mannheim zu besuchen. Da bin ich am Tag des Workshops über die Nachrückerliste noch reingekommen. Zu der Zeit hatte ich schon in der Bamberger Soulband „Full House“ mitgesungen. Nach dem Workshop war für mich die Entscheidung klar: Ich studiere Jazz und nicht Musical, was ich mir auch überlegt hatte. Ich habe ja 10 Jahre lang bei der Bamberger Tanz- und Percussionschule „Body and Soul“ Jazz-Dance gelernt und konnte durch die Vermittlung meiner Lehrerin Daniela Rüger beim Musical „Harry und Sally“ am Bamberger Theater mitwirken. Musical wäre mir auf Dauer aber zu einseitig gewesen. Jazz hat so viele Elemente in sich, dass ich mich als Sängerin gar nicht zwischen Gospel, Blues, Soul oder Bossa Nova entscheiden muss. Das ist alles in der Musik verschmolzen und man kann von einem ins andere wechseln.

Kann man sich das Jazz-Studium als großen, langen Workshop vorstellen?

Nein, ich hatte nur eine Stunde Gesangsunterricht in der Woche. Dazu kam dann noch eine halbe Stunde Improvisationsunterricht beim Saxophonprofessor. Gesangstechnik habe ich aber fast gar nicht gelernt, auch das nur eine halbe Stunde in der Woche bei einer klassischen Lehrerin. Die Hochschulen nehmen eigentlich nur Bewerber, die ihr Metier schon ganz gut drauf haben.

Auf welche Künstler und welche Stilrichtungen nimmst du Bezug, wenn du Musik machst? 

Oh je, die Frage aller Fragen. Jetzt könnt´ ich natürlich ein Fass aufmachen… Von Haus aus liegt mir Gospelgesang sehr – die Art Gospel wie im Film „Sister Act“, ich war ein riesiger Whoopi-Goldberg-Fan.  Allgemein kann man sagen „Black Music“, sprich, also alles, was sich aus Gospel und Blues entwickelt hat. Sehr prägend war für mich auch der enorm vielseitige Sänger Tony Bulluck, den ich über Bekannte kennengelernt habe. Er lud mich immer zu Auftritten ein, in der „Blues Bar“ durfte ich als Jugendliche meistens sogar ein paar Stücke mit ihm singen. Natürlich bewundere ich die drei Jazzladies Sarah, Ella  & Billie, genauso wie Nina Simone, Eva Cassidy, Abbey Lincoln, Donny Hathaway, Luther Vandross, Louis Armstrong, aber auch reine Instrumentalisten wie Horace Silver, Monk, Miles, Bird, John Taylor  oder sog. Weltmusikerinnen wie Miriam Makeba und Elis Regina. Nicht zu vergessen meine lebenden Vorbilder Dianne Reeves, Fay Claassen, Norma Winstone, Kevin Mahogany, BobbyMcFerrin, Gregory Porter, die ich alle auch persönlich kenne.Von großem Einfluss war Romy Camerun, meine Lehrerin an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Als ich ihr zum ersten Mal bei einem Workshop in Erlangen begegnete, war es Liebe auf den ersten Blick. Was sie konnte, wollte ich auch lernen. Bei dem Workshop begegnete ich auch dem Saxofonisten Tony Lakatos, der auf meiner ersten CD mit von der Partie ist. Sheila Jordan hat mich sehr beeindruckt. Mit ihr habe ich in München mal einen Workshop organisiert und seither auchimmer wieder private Gesangsstunden genommen. Sie ist eine wahnsinnig gute Scatterin, improvisiert toll, ist aber auch menschlich faszinierend, weil sie viel erlebt hat und schon mit Größen wie Charlie Parker zusammengespielt hat. Die Erfahrung hört man mit. Bei der Frage nach dem eigenen Stil geht es für mich gar nicht so sehr um versierte Techniken, sondern darum, dass man etwas zu erzählen hat. Ich bin als Sängerin eine Geschichtenerzählerin, die ihre eigenen Erfahrungen in Songs packt. So steht es auch im Vorwort meiner CD.

 Wie hast du die Bandmitglieder ausgewählt?

Die Band besteht seit 2008. Damals lebte und studierte ich noch in München und wohnte direkt gegenüber dem Jazzclub „Unterfahrt“. Für die CD kam neben Tony Lakatos auch noch der Trompeter Ack van Rooyen dazu, den ich ebenfalls bei einem Workshop kennengelernt hatte. Ich darf ihn „Opa Ack“ nennen. Ein weiterer gern gesehener „specialguest“ in meiner Band ist Rick Margitza, der einst mit Miles Davis tourte und das Album „Amandla“ mit ihm einspielte. Ich habe ein beinahe familiäres Verhältnis zu meinen Mitmusikern. Das braucht es auch. Es ist für mich die einzige Grundlage, auf der man wirklich gute Musik machen kann. Ich glaube, das Publikum merkt es, wenn die Band sich gut versteht und auf dieser Basis kommuniziert.

Wie sieht der Alltag einer Jazzsängerin aus?

Es gibt keine feste Struktur. Viele stellen es sich vielleicht so vor, dass ich den ganzen Tag vor mich hinsinge. Aber ich stehe um 7 Uhr auf und mache oft erst einmal 6 bis 7 Stunden Büroarbeit. Wenn ich jetzt nicht für nächstes Jahre buche, spiele ich auch nicht. Auf zehn Anfragen kommt vielleicht eine Antwort. Das heißt aber immer noch nicht, dass ich da spiele, und das zu fairen Konditionen. 

Die Erfahrung teilst du dir wahrscheinlich mit vielen deiner Kollegen bzw. Kolleginnen.

Eigentlich mit fast allen. Auch wenn man denken könnte, dass sie es geschafft haben. Das hat auch eine witzige Seite. Inzwischen höre ich von Kollegen, die ich für erfolgreicher halte als mich, Aussagen wie „Johanna, bei dir geht es ja total ab!“ oder „Kannst du mir mal einen Mail-Entwurf von dir schicken, damit ich sehe, wie du deine Gigs bekommst?“. Alle sind am Kämpfen und denken: Beim Anderen ist es vielleicht einfacher, da kann man sich vielleicht noch was abgucken.

Spürt man auch Konkurrenz?

Klar,vor allem zwischen Künstlern mit gleichem Instrument und in einer Altersklasse Solange man vor sich hindümpelt, gibt es keine Neider. Wenn ich eine Erfolgsmeldung verschicke, gibt es aber unter Sängerinnen meines Alters nur noch wenige, die sich mit mir freuen können. Ich versuche, mich nicht so sehr zu vergleichen. Denn es wird immer Menschen geben, die genau auf meine Stimme stehen und zu meinen Konzerten kommen, nicht deshalb, weil ich besser bin, sondern weil es ihnen besser gefällt. Das ist Geschmackssache. Die Konkurrenz hat damit zu tun, dass der Jazz-Markt eng ist. Da geht es weniger um Ruhm und Ehre als ums Überleben. Um die wenigen gut bezahlten Gigs reißen sich viele, und da zählt nicht allein, wer musikalisch am besten ist, sondern oft, wer sich besser vermarkten kann.

Umso hilfreicher ist eine gewisse Unbedingtheit. Also ein Drang, das einfach machen zu müssen. Ob man damit erfolgreich ist oder nicht, ist dann zweitrangig.

Genau. Als ich meiner Mutter damals gesagt habe, dass ich Jazzgesang studiere, war die erste Reaktion: „Warum denn das? Überleg doch mal, die Aufnahmeprüfung... Hast du auch einen Plan B?“Ich habe ihr erklärt, dass es keinen Plan B gibt, dass ich auch gar keinen Plan B haben darf. Ich muss einfach Musik machen, das ist mein Weg, und dann hat sie das auch akzeptiert. Sorgen macht sie sich trotzdem ab und an. Ich rate auch niemandem, Berufsmusiker zu werden. Man entbehrt sehr viel und hat keine Absicherung. Dazu braucht es Hingabe und die Bereitschaft, sein ganzes Leben nach der Musik auszurichten.

Das kann auch eine tiefe Erfüllung sein. 

Ja, klar. Ich merke das, wenn mir Menschen erzählen, wie unglücklich sie mit ihrem 0815-Job sind, obwohl sie eine Altersabsicherung, geregelte Arbeitszeiten und ein freies Wochenende haben. Aber dann arbeiten sie eben nur, um die Freizeit genießen zu können. Das ist die andere Seite.