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Die 1960er: Hochzeit für ein Jahr

„Im Anfang war der Club und der Club war der Anfang.“ Mit diesen geflügelten Worten leitet der Zeitzeuge Tex Döring die Erinnerungen seines ersten Jazzfotoalbums ein. Meinte Tex Döring auch speziell den Ami-Club und seinen ersten öffentlichen Auftritt, lässt die Formulierung doch eine erweiterte Deutung zu. Wo die Amerikaner waren, war der Jazz und von der eigenen kleinen Jazz-Szene in der Stadt war es nur noch ein Schritt zum ersten Bamberger Jazzclub. Die Voraussetzungen lauteten: „Pflege des Jazz“ (so die Formulierung aus der Satzung); Optimismus und Begeisterung: viel; Erfahrung im Management: wenig; finanzielle Mittel: keine. Otto Herzog, Trompeter der Remi Dixielanders, und Martin Marquardt, ein rhetorisch gewandter Musikfan, gründeten den Bamberger Club im Frühjahr 1960 aus Liebhaberei. Der Initiative weniger Jazzbegeisterter und der günstigen Gelegenheit war es zu danken, dass man das von Hans Jäger betriebene „Café Jäger“ in der Pödeldorfer Straße provisorisch als Clublokal nutzen konnte. Niemand könne sich heute mehr vorstellen, stöhnte Martin Marquardt in einem Schreiben an den späteren, 1974 gegründeten Jazzclub, was es heißt, in einem Café einen Jazzclub zu installieren, dazu noch außerhalb des Stadtzentrums. Welche Gruppen sollten hier spielen? Wie konnte der Club in der Öffentlichkeit bekannt werden? Und wer kommt in die Pödeldorfer Straße zu einem Clubabend? Fragen und Sorgen. 

Frühjahr 1960: Der erste Bamberger Jazzclub

Ihren selbst gewählten Auftrag legten die Gründer des Bamberger Jazzclubs (BJC) in der Satzung fest: „Klärung des Begriffes des Jazz in der Öffentlichkeit, Zusammenschluss aller am Jazz ernstlich Interessierten, Abhalten von clubinternen Vorträgen, Diskussionen, Plattenabenden sowie von öffentlichen Jazzkonzerten.“ Welch kuriose Wendung! Die Musik der Freiheit und der Lebensfreude, eingezäunt für die ernstlich Interessierten?... In Wahrheit handelte es sich hier jedoch nur um eine rhetorische Schutzbehauptung. Angesichts einer vergnügungshungrigen Jugend, die am liebsten Rock and Roll tanzte, sollte sich der wahre Jazz von reinem Spaßgetue und Kokolores rigoros abgrenzen. Deswegen musste die Musik ja nicht wehtun. Im Gegenteil: Sie durfte, ganz echt, auch Spaß machen.

Dass der Jazzkeller von seiner ganzen Anlage her einem Schutzraum entsprach, und zwar im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, machte ihn zu einem beinahe perfekten Ort für die Minderheitenmusik. Der Bamberger Jazzclub fand denn auch einen Keller, unter der Gaststätte der „Wilden Rose“, Keßlerstraße. Bier, Keller und Jazz verbanden sich auf diese Weise zu einer bislang nicht vorstellbaren Einheit. Oben: das Bier, unten: der Keller und der Jazz. Das völkerverbindende Getränk und die universelle Sprache der Musik. Eine symbiotische Beziehung par excellence. Leider währte sie nur etwa ein Jahr. Zwar habe man nach Aussage von Martin Marquardt wohl nicht einmal etwas bezahlen müssen für den Keller. Der Wirt habe den wenigen Gästen zugestanden, den Raum nutzen zu dürfen, wenn sie dafür die Getränke bei ihm beziehen. Allerdings habe der Keller in keiner Hinsicht den geltenden behördlichen Regeln entsprochen, mit der Heizung sei „auch nicht viel nicht los“ gewesen. Wären damals zum Beispiel nicht der „Förtschen Hans“, Otto Herzog, Werner Kohn, Peter Keilholz sowie Elfi und Bertel Müller gewesen, die rückhaltlos mitgemacht und dem Club die Treue gehalten hätten, wer weiß, wie es dann weiter gegangen wäre? Ja, wer weiß!

9. November 1960: Das erste echte Bamberger Jazzkonzert

Das erste Jazzclub-Konzert ließ nicht lange auf sich warten. Der vor allem von Amerikanern besuchte „La Paloma“ Keller war dank der komfortablen Ausstattung mit Bühne, Klavier und 10 bis 15 Stuhlreihen gut geeignet. Hier wurde am 9. November 1960 die Jazz-Hochzeit mit der amerikanischen Sängerin B.J. Waidler als Stargast gefeiert. Waidler hatte zuvor schon in den Staaten gesungen und war des Öfteren im Bamberger Offiziersclub, als Frau eines bei der Armee beschäftigten Zivilamerikaners, zu hören. 

Wegen der historischen Bedeutung des Konzerts seien an dieser Stelle die Details der Besetzung genannt. Es spielten die beiden Hausbands des Jazzclubs. Remi Dixielanders: Otto Herzog (Trompete), Ottmar Kodisch (Klarinette), Leo Drescher (Posaune), Willi Heinze (Klavier), Andy Dobroschke (Bass), Hans Baier (Schlagzeug). Modern Jazz Group: Richard Christa (Gitarre), Tex Döring (Klavier), Andy Dobroschke (Bass), Berthold Gunzenheimer (Schlagzeug). 

B. J. Waidler wurde von der Modern Jazz Group begleitet. Das Quartett hob sich schon im äußeren Erscheinungsbild von den zünftig, mit schwarzen-rot-karierten Jacken bekleideten „Remis“ ab. Vornehmlich der Gitarrist Richard Christa, dem eine gewisse Eitelkeit nachgesagt wurde, hüllte sich in einen schwarzen Existenzialisten-Pullover mit Rollkragen und trug dazu eine schwarze Brille, obwohl er gar keine gebraucht hätte. Die Brille habe denn auch kein geschliffenes Glas gehabt. Sie sollte dem Träger nur ein intellektuelles Gesicht geben, so Tex Döring. Angesprochen habe man ihn darauf nicht, schließlich wollte ihn niemand beleidigen. 

Das Konzert machte in Bamberg Furore. Das „Volksblatt“ und der „Fränkische Tag“ berichteten, dass die Konzerte für einen Stau vor dem „La Paloma“ Keller verantwortlich gewesen seien – 100 Gäste fanden keinen Platz“ lautete die Überschrift im Volksblatt. Die Qualität der Musik hinterließ beim Rezensenten des Fränkischen Tags einen tiefen, herzerwärmenden Eindruck: „Alles Misstrauen und sämtliche Vorurteile zerschmolzen im Laufe des Abends im Dixieland-Feuer, in der Blues-Wärme und im funkelnde Glanz des modernen „hard bop“... Das Programm war klug und interessant arrangiert, wurde mit brillanter Rhetorik angesagt und freigebigem Applaus honoriert. Selbst die unvermeidlichen kichernden Weiblichkeiten und palavernden Amerikaner in den ersten Reihen konnten den (durch das Optische hinreißend gewürzten) Hörgenuß nicht schmälern. Elf rote Nelken gab es für die zur Zeit in Bamberg lebende US-Sängerin B.J. Waidler, die – nicht nur einer alten Tradition zuliebe! – zuerst genannt sein soll. Ihre swingenden „vocals“ sind ohne einen Schatten von Sentimentalität, obwohl sie eine fast „zärtliche“ Wärme beseelt, die von dem bewussten Understatement und der kühlen Rationalität unserer Jazzmusikgegenwart weit entfernt ist.“ 

In der Besprechung lässt sich ein Idealbild des Jazz erkennen, das die Rezeption in den Jahrzehnten nach 1945 geprägt hat: Guter Jazz ist Wärme, Emotionalität, Spontaneität, konzertanter Hörgenuss und er darf nicht zur reinen Unterhaltungsmusik degradiert werden. In seiner Amerikaliebe ist der deutsche Fan zutiefst romantisch. 

1961: Amateur-Jazz-Festival mit Albert Mangelsdorff

Gab es so etwas wie einen eigenständigen deutschen Jazz überhaupt? Ja, er erreichte 1961 auch Bamberg. Der bekannteste Vertreter dieses Genres, Albert Mangelsdorff, trat nicht vom Club veranstaltet – im Zentralsaal auf. Der Fränkische Tag konstatierte seinerzeit recht bissig, die Arrangements seien ein weiterer Beweis dafür gewesen, dass guter Jazz keine Konsumware zur Verzückung Unterentwickelter sei. Nach dem Konzert mit dem Mangelsdorff-Quintett sei, so Martin Marquardt, sogar noch eine herrliche Session mit der Modern Jazz Group zustande gekommen. 

Im April 1961 dann die Sensation für Bamberg: Der Jazzclub veranstaltete das 7. Deutsche Amateur-Jazz-Festival, mit rund 20 Bands ein großer Erfolg. Mit einer Jazzband, die von einem Pferdewagen durch die Straßen gezogen wurde, machte der Club Werbung. Der Zentralsaal war bei allen Konzerten glatt ausverkauft. „Ein Sieg der Jugend, erspielt mit Posaunen und Trompeten“, lautete das Fazit der Lokalzeitung. 

Es war zweifellos der Höhepunkt in der Entwicklung des Jazzclubs. Bedauerlicherweise auch ein Endpunkt: Der Club musste nach dem Festival seinen Keller aufgeben, da der Wirt nicht gewillt war, den Raum vorschriftsgemäß zu sanieren. Er fand keine Unterkunft mehr und musste sich 1962 auflösen. Aber der Jazz blieb bestehen und die Aktiven spielten weiter. The Music goes on. Generation für Generation. Bis das Altersheim kommt, der Krug bricht und der Fisch bellt. 

Das Interesse am Jazz trägt weit. Es verbindet Hörer und Musiker, ob einzeln oder in Gruppen, im Sinne einer Subkultur, oft über Grenzen hinweg. Durch ein Netz weit verzweigter Beziehungen riss das Jazzleben in Bamberg daher niemals ganz ab. Bis Ende der 1960er, bis auch hier die Kaserne hermetisch abgeriegelt wurde, setzten deutsche Musiker in den Ami-Clubs ihre Engagements fort. Im Privaten köchelte der Jazz vor sich hin.

Textquelle: Buch "Jazz Keller Bamberg" von Oliver van Essenberg