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Vielfalt als Inspiration - Mareike Wiening und die kreative Identität

Frauen am Schlagzeug sind im Jazz selten. Hat das den Weg zur professionellen Jazzmusikerin leichter oder eher schwerer gemacht?

Sowohl als auch! Als Jazz-Schlagzeugerin hatte ich vor allem am Anfang meines Studiums mehr Probleme: Ich war unerfahren und es gab kaum Vorbilder. Damals gab es generell einfach noch weniger weibliche Instrumentalistinnen, man war oft auf sich alleine gestellt. Es gibt auch heute immer noch Stereotypen und Vorurteile, denen man sich stellen muss. Aber man lernt, damit umzugehen, die Vorteile für sich zu nutzen. Denn die gibt es auch! Als Dozentin an einer Musikhochschule versuche ich für jüngere Musikerinnen ein Vorbild zu sein und den Diskurs mitzugestalten.

Nervt es Sie, dass Sie immer wieder auf Ihren Sonderstatus als Frau am Schlagzeug angesprochen werden?

Es kann manchmal ermüdend sein, immer wieder auf mein Geschlecht reduziert zu werden, anstatt auf meine musikalische Leistung. Aber ich sehe es auch als Chance, das Bewusstsein für die Vielfalt in der Musikszene zu schärfen und andere Frauen zu ermutigen sich ebenfalls in der Jazzwelt zu etablieren.

Sie haben unter anderem in der Jazz-Hauptstadt New York gelebt und studiert und es geschafft, an legendären Orten wie dem Blue Note Club oder der Carnegie Hall zu spielen. War das Ihr Traum, als Sie nach New York gezogen sind?

New York war schon immer ein Mekka für Jazzmusiker, und die Möglichkeit, dort zu leben und zu spielen, war ein Traum, den ich mir unbedingt erfüllen wollte. Die Energie und Vielfalt der Musikszene dort haben mich unglaublich inspiriert und geprägt. Als ich 2012 für mein Masterstudium nach New York wollte, habe ich natürlich niemals damit gerechnet, so lange dort zu bleiben und an berühmten Orten wie dem Blue Note oder der Carnegie Hall zu spielen.

Wie gehen Sie beim Komponieren, beim Entwerfen Ihrer Arrangements vor? Gibt es da ein Hauptinstrument, das den Ton setzt?

Beim Komponieren und Arrangieren lasse ich mich von verschiedenen Einflüssen inspirieren, sei es eine Melodie, ein Rhythmus oder eine bestimmte Stimmung. Ich komponiere ausschließlich am Klavier, ganz selten kommt mir eine erste Idee für einen bestimmten Groove am Schlagzeug und selbst dann begebe ich mich im Anschluss direkt wieder ans Klavier. Da komme ich auch übrigens her: Bevor ich mit 15 mit dem Schlagzeug anfing, habe ich bereits 10 Jahre klassisches Klavier gespielt und bei Jugend Musiziert mitgemacht.

Seit 2014 haben Sie ein festes Quintett. Wie haben Sie sich kennengelernt und wie hat sich die Musik seitdem entwickelt?

Rich Perry habe ich über die New York University, wo ich studiert habe, kennengelernt. Ich war schon immer ein großer Fan von ihm, sein Sound und seine Musikalität sind einzigartig. Als ich mich irgendwann getraut habe, ihn zu fragen, konnte ich es gar nicht glauben, dass er einwilligt. Auch heute, nach 10 Jahren, empfinde ich es immer noch als große Ehre, einen solch großartigen Musiker in meiner Band zu haben. Alex Goodman ist zur gleichen Zeit nach New York gezogen wie ich, er hat damals an der Manhattan School of Music studiert und die anderen Bandmitglieder kamen nach und nach über Kontakte innerhalb der New Yorker Szene dazu. Wir haben im Lauf der Jahre eine tiefe musikalische Verbindung entwickelt und uns gegenseitig inspiriert, was zu einer organischen Entwicklung meiner Musik geführt hat. Jedes Mitglied bringt seine eigenen Einflüsse und Ideen ein, das ist mir auch sehr wichtig.

Auf ihrem jüngsten Album „Reveal“ spielt neben dem New York-Jazz auch der Einfluss ihrer früheren Lebensstation Skandinavien eine Rolle. Das ist weit weg von ihrem jetzigen Wohnort Köln. Was bedeutet Heimat für Sie als Kosmopolitin – musikalisch und persönlich?

Für mich ist Heimat dort, wo ich mich musikalisch und persönlich entfalten kann, wo ich mich verbunden und vor allem inspiriert fühle. Sowohl New York als auch Skandinavien haben mich in unterschiedlicher Weise geprägt und beeinflusst, und beide Orte tragen zu meiner kreativen Identität bei. Ich lasse mich gern von der Vielfalt und der Möglichkeit, aus verschiedenen kulturellen Einflüssen zu schöpfen, inspirieren.

Mareike Wiening, Jahrgang 1987, stammt aus Erlangen und begann im Alter von fünf Jahren mit dem Klavierspielen. Später lernte sie Querflöte, mit 15 wechselte sie zum Schlagzeug. Nach dem Musikstudium in Mannheim verbrachte sie als Stipiendiatin ein Jahr in Kopenhagen und anschließend sechs Jahre in Brooklyn, New York, wo sie ihre musikalische Laufbahn weiter ausbaute. Seit 2019 pendelt sie zwischen den USA und Köln, wobei sie aktiv in der internationalen Jazzszene tätig ist. Auf der Bühne stand sie u.a. mit John Zorn, Ben Wendel oder Dan Tepfer. Konzerte führten sie durch ganz Europa, Nord- und Südamerika. Ihre Karriere als freischaffende Jazzmusikerin umfasst eine breite Palette von Projekten und Ensembles in New York und Europa. Seit 2022 lehrt sie als Dozentin für Jazz-Schlagzeug an der Zürcher Hochschule der Künste und lebt in Köln.